Vernunft klingt so vernünftig. Der Begriff ist positiv konnotiert, er beinhaltet Gedanken an eine humanes zusammenleben, ökologisches denken und so weiter. Das gerade in Deutschland die Vernunft hochgehalten wird, mag an den deutschen Immanuel Kant liegen, der lang und breit darüber referiert hat. In seinem „Gedankenmodell“ spielt die Vernunft eine große Rolle und in dieser Tradition wird die Vernunft noch immer als der Trumpf herausgeholt. Nur vergessen wir dabei, dass die Vernunft eben nicht der Herr aller Dinge ist.
Vernunft ist im Grunde alles, was wir denken. Wir können durch die Vernunft auch zur Erkenntnis über die Welt gelangen, wie Kant sagt. Das heißt, nicht nur empirische Untersuchungen können die Welt erklären, sondern eben auch die Ratio, das reine nachdenken über die Welt. Das mag jetzt komisch klingen, war es im 17ten Jahrhundert auch. Für uns ist das heute eher normal. Vielleicht weil Kant einfach recht hatte.
Was uns aber bei diesem Vernunftbegriff vorenthalten wird ist der Wille. Wir werden keine neue mathematische Formel entwickeln, wenn wir dies zu wollen. Das Wissen der Welt ist nicht in uns vorhanden, wir müssen es entdecken. Dazu braucht es eben den Willen, dies zu tun und die Vernunft, also das Denken an sich.
Und so sind selbst schreckliche Dinge wie Atombomben oder Totalitarismus vernünftige Dinge. Selbst Verschwörungstheorien, seien sie noch so abstrus, sind ein Ergebnis der Vernunft. Niemand würde behaupten, dass eine Bombe etwas gutes sei und das sie einem höheren Ziel dienen würde, wie es die Vernunft täte. Und trotzdem. Die Vernunft ist also eine Hure, die sich jedem anbietet. Jedem Politiker, jedem religiösen Führer und sämtlichen politischen Fundamentalisten.
Vernunft ist für die Naturwissenschaft ein großartiges Mittel, denn alles was Wahr ist kann auch bewiesen werden. Für Geisteswissenschaften hingegen ein Fluch, denn jeder kann hier sagen was er will und nur selten gibt es überhaupt die Möglichkeit eines Beweises. Und für den zunehmend leichtgläubigeren und unaufgeklärteren Menschen ist die Vernunft der Untergang, denn dieser Mensch ist der reinen Willkür und der Dogmatik ausgeliefert.
Damit die Vernunft nicht als Waffe gegen den Menschen gerichtet wird sondern den Subjekt dient, bedarf es zwei Dinge: Wissen und Bildung. Wissen ist das, was wir aus der Schule kennen und beinhaltet in Prinzip alles das, was die Naturwissenschaft so an Erkenntnis gewonnen hat. Bildung hingegen würde ich als das Bezeichnen, was aus den Geisteswissenschaften kommt. An letzterem fehlt es, meiner Meinung nach, um gegen die Vernunft gewappnet zu sein.