Kein Gott – Kein Staat – Kein wirkliches Ideal

Der ersten Idee, die mich begeistert hat, war die der Anarchie. Zwar habe ich, aus heutiger Sicht, nicht verstanden, was die Propagandagesänge für eine Bedeutung hatten, aber ich denke schon, dass mir bewusst war, was mit „Kein Gott, kein Vaterland, kein Eigenkapital“ gemeint war, bzw. wohin die Reise gehen sollte, die zugrunde liegende Philosophie kannte ich nicht – sie wird ja auch nicht besungen oder so.

Mit etwas Abstand muss ich sagen, dass ich weiterhin Anarchist bin. Gemerkt habe ich das, als ich den Anarchokapitalismus kennengelernt habe. Etwas, was ich zum Wohle meines meinem linken Ideal unterdrücken musste, durfte auflegen. Seit dem interessiere ich mehr für Philosophie. Und nach mehr als einem Jahrzehnt und vielen Gedanken und Eindrücken kann ich meine Interpretation eines modernen Anarchismus festhalten.

Man kann natürlich noch hergehen und das Aufschreiben, wofür Anarchismus steht. Ich fände die Herangehensweise auch schöner, eine reine Antihaltung ist jetzt nicht sonderlich Attraktiv. Aber weil es mit drei Antihaltungen mal angefangen hat, möchte ich mit meinen drei Antihaltungen anschließen, ehe ich irgendwann mal schreiben werde, wofür aus meiner Sicht Anarchismus steht.

Kein Gott

Es ist klar, die Welt, wie sie ist, benötigt keinen Schöpfer oder Gott als ein Wesen, der für alles und jeden Verantwortlich ist. Jetzt kenne ich geburtsbedingt vor allem den christlichen Gott, der irgendwie nur Fehler macht – er erschafft den Menschen, sieht das es gut ist, bis er sieht, dass es doch nicht so gut war und alle ersäuft – und Menschen umbringt – mehrere zehntausend, während sein Widersacher nur eine Hand voll tötet oder so? So allwissend scheint er also nicht gewesen zu sein.

Man könnte auch sagen „Keine Religion“. Religion ist das willkürliche, also gewollte bilden einer Gemeinschaft. In einer solchen künstlichen Gemeinschaft muss jeder genau das tun, wofür er vorgesehen ist. Arbeiten, beten, spenden, … was auch immer. Für gewöhnlich sind solche künstlichen Gemeinschaften immer verbunden mit Gewalt, körperlicher oder psychischer Natur. Keine Religion wäre ein Überbegriff und würde den Staat einschließen.

Aber: Gott ist in meinen Augen eben ein Synonym für alles, was wir nicht verstehen. An einen Gott glauben wir. Wenn ein Physiker an den Urknall glaubt und diesen nicht beweisen kann, dann ist der Urknall sein Gott. Nur haben wir in der christlichen Tradition die Angewohnheit, alles einem Namen zu geben. Am Anfang war das Wort und das Wort war Gott. Heute ist die Variable Gott in jeder Wissenschaft eine Andere. Die Gefahr, die aber weiterhin besteht ist die, dass wir uns um den Namen streiten und in diesen Belanglosigkeit verlieren, statt wirklich neues Wissen zu schaffen. Juden und Muslime sind da, meiner Ansicht nach, weiter. Sie sprechen den Namen nicht aus und vermeiden somit eine Manifestation bei anderen, Muslime gehen sogar noch weiter und untersagen jede Ikonographie – wenn man das Konsequent durchzieht also auch jede Verschriftlichung dessen, was man nicht kennt und mit „Gott“ oder „Urknall“ bezeichnen würde. Also: Kein Gott!

Kein Staat

Kein Vaterland, so hieß es einst. Das war ganz klar gegen den Nationalismus gerichtet. Kein Staat hingegen richtet sich vollständig gegen alles, was für Grenzen auf diesem Planeten sorgt. Kein Staat heißt, dass wir nicht mehr per Geburt irgend einer Sippe angehören, sondern dass wir frei geboren werden und in Folge, dass es keine Grenzen gibt, wir unser dort niederlassen können, wo wir uns am wohlsten fühlen. Jede Gemeinschaft, jedes kleine Dorf, jede Kommune, jede Region hat ihren Reiz. Sobald ich mit den Menschen in meiner Umgebung mich identifizieren kann und möchte, werde ich mich nieder lassen. Genauso schnell wie ich gekommen bin, steht es mir frei zu gehen, wenn ich der Meinung bin, dass ich andernorts ein erfüllteres Leben führen kann.

Es bedeutet auch, dass jeder Mensch absolute Toleranz leben muss und jeden Gast entsprechend Vorurteilsfrei am Leben teilhaben lassen muss – und ihn auch ziehen lassen muss, was ja heute nicht der Fall ist. Oder hat es schon jemand geschafft, die Einseitige Willenserklärung einer Kirche oder eines Staates, zu kündigen?

Es bedarf zudem den Respekt gegenüber anderen Kulturen und Bräuchen. Ich mag eine andere Einstellung haben, das gibt mir aber nicht das Recht, Einfluss, womöglich gegen den Willen der Anderen, auszuüben. Meine Ideen werden freiwillig oder gar nicht übernommen und implementiert. Man könnte es Sachwarmintelligenz nennen, wenn neue Philosophien oder Bräuche nur behutsam oder gar nicht aufgenommen werden.

Manche, besonders konservative Strömungen, werden womöglich, so meine Essenz aus der Vergangenheit, nicht überleben. Das ist – auch wissenschaftlich (Systemtheorie und Resilienz) – gut und sollte Akzeptiert werden. Der Tod gehört nicht nur zum individuellen, sondern auch zum kollektiven Leben dazu. Man kann diesen Ideen gedenken, aber bitte nicht huldigen 🙂

Kein wirkliches Ideal

Den letzten Punkt muss man etwas aufdröseln.

Mit Wirklichkeit meine ich alle die Systeme, die eine Wirkung auf andere Systeme haben. Banal erklärt hat der Tisch vor mir eine Wirkung auf das Licht, dass ihn für mich in seinen Farben und seiner Form erscheinen lässt.

Das Ideal hingegen ist alles, was keine Form hat. Wie der Staat, Gott oder auch etwas wie juristische Personen. Ich kann nicht raus in die Natur gehen und sagen „Oh, guck mal, ein Gott“ oder „Oh, da drüben habe ich einen Staat gesehen“ und gestern erst „war da eine Aktiengesellschaft“. All das sind Ideale, die allein aufgrund ihrer Gläubiger, existieren und ohne diese nicht wirklich wären oder wirken könnten.

Wird ein solches Ideal Wirklich, wird es auch dogmatisch. Die Idee, die einen Ursprung irgendwo hat, kann nicht überleben oder weiterentwickelt werden, wenn sie nicht dogmatisch einem roten Faden folgt. Es muss also ein Buch oder eine Philosophie geben, die man über alles erhebt und nicht in Frage stellt. Jeder, der dem widerspricht, muss aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Solche wirklichen Ideale sind der Grund für Spaltung und in der Folge für Grenzen, die ich auch einem Planeten mit freien Individuen nicht sehen möchte.

In der Regel zeichnen sie sich auch durch ihre Verantwortungslosigkeit aus. Verantwortung wird an eine nicht näher bestimmte Instanz abgegeben, die selbst keine Substanz besitzt. CEOs, Politiker, Priester… schon mal jemanden vor Gericht gesehen (wenn er nicht gerade Steuern hinterzogen hat)? Beispiele gibt es genug: Kindesmissbrauch, überteuerte Flughäfen und Konzerthallen, neue gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittelchemie, uvm. Wer kommt für die Schäden an Mensch, Umwelt oder Gemeinschaft auf? In allen Fällen niemand.

Jeder soll glauben können was er will. Jeder soll sein persönliches Ideal haben. Niemals aber dürfen sich Menschen zusammenschließen, um aus diesem Ideal etwas wirkliches werden zu lassen. Solche Gemeinschaften sind abzulehnen und ihre Akteure sind zur Verantwortung zu ziehen, noch bevor irgendein Schaden auftritt, den sie selbst nicht begleichen könnten und vielleicht auch nie begleichen wollten.

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